#diepodcastin & FRAUENKultur: Isabel Rohner & Regula Staempfli zu Penissen, Vulvas & Religionen.

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#diepodcastin auf den Spuren von Frauenkultur: Isabel Rohner & Regula Staempfli im sprechenden Denken zu Penissen, Vulvas & Religionen.

“Je unkultivierter ein Land ist, je radikaler wird die Trennung der Geschlechter gehandhabt.” Hedwig Dohm (1831-1919), Zitat aus dem Jahr 1910
 
Hedwig Dohm hat ihr Leben lang dagegen angeschrieben, dass Frauen, weil sie Frauen sind, nicht dieselben Möglichkeiten auf Bildung, Berufstätigkeit, Selbständigkeit, das Wahlrecht und öffentliche Räume haben wie die Männer. Für sie ganz klar: Frauenrechte sind die Grundlage einer Demokratie. Die Podcastin beginnt mit einer Diskussion, wie sehr sich diese Auffassung im Kontext des Postkolonialismus ins Gegenteil verkehrt hat. Während Hedwig Dohm schon vor über 100 Jahren Systeme der Geschlechterapartheid anklagte, fordern die Grünen in Berlin übrigens gerade fröhlich getrennte U-Bahn-Abteile für Frauen…
Isabel Rohner nimmt die Hörerinnen mit nach Japan: Jeden ersten Sonntag im April findet dort in der Millionenstadt Kawasaki das “Festival des goldenen Penis” statt (“Kanamara Matsuri”). Dann werden wieder riesige Penis-Figuren durch die Stadt getragen und gefahren, Menschen lutschen Penis-Lollis oder knabbern an Gemüsesticks in Pimmelform. Und das in dem Land, in dem Frauen wegen Vulvakunst ins Gefängnis kommen. Die Rohnerin berichtet, dass sie an einer Lesung der japanischen Mangakünstlerin ROKUDENASHIKO (ein Pseudonym der Japanerin Megumi Igarashi) teilgenommen hat, die 2014 zweimal mehrere Tage im Gefängnis war. Der Vorwurf: Ihre Kunst, z.B. poppige Handyhüllen mit dem Abdruck ihrer Vulva zu zeigen, sei OBSZÖN! Im Film “Female Pleasure” von Barbara Miller wird ihre Geschichte erzählt. Die Podastin findet: Wir brauchen auch ein Fest der “Goldenen Vulva” (Kanamanko Matsuri)!
Rokudenashiko hat ihre Geschichte übrigens auch in einem Manga aufgezeichnet, der inzwischen auch auf deutsch vorliegt.
Buchtipp! Rokudenashiko: Was ist obszön? Ein Manga über Vulvakunst. Magas-Verlag 2023. 21,40 Euro. https://magas-verlag.de/i/rokudenashiko

Dann mäandern Isabel Rohner und Regula Staempfli in einem sehr entspannten Gespräch über die Bedeutung von Frauen in den Religionen, die Rohnerin hat einen wunderbaren Witz zum Fischerclub und überhaupt: Es ist eine dieser Folgen, die die Frustration der letzten paar Jahre im Zuge von Gender, Sprechakten und Missachtung von Frauen, kompensieren mit der Feier von Frauen damals, heute und morgen. Schuld an allem ist nur die Beerdigung des Papstes die laStaempfli geguckt hat und die Comic-Lesung zur Goldenen Vulva der Rohnerin, respektive die Rohnerin, die zum ersten Mal vom Goldenen Penis-Festival vernommen hat und die Transformation zum Fest der Goldenen Vulva erzählt.

Ad Papam noch kurz von laStaempfli: “Der Papst der Armen hat die aufwenigste Jahrhundertbeerdigung durch Rom veranlasst.” Was die Gegenwart zeigt, die Diskrepanz zwischen Worten und Taten.

Dann zu Vulvas und Marien reden die Rohnerin und laStaempfli weiter. Hier noch einen Text von laStaempfli dazu, die in den 1980er und 1990er Jahren des letzten Jahrhunderts die Frauengeschichte als echte Befreiung und nicht wie heute die Gendergeschichte als Korsett erlebt hat.

Zu den Vulvafiguren hat Regula Staempfli für Die Weltwoche und dann für den Jahresrückblick von ENSUITE einen Text aufgrund der neuen DNA-Analysen in der Archäologie verfasst. Hier der Link und der Text siehe https://www.ensuite.ch/it-is-the-codes-still-the-year-2024-by-lastaempfli/

“Stellen wir uns vor, eine, nur aus Männern bestehende Gruppe unternimmt eine lange Wanderbewegung durch verschiedene geografische Regionen und trifft auf ihrem Migrationszug auf sesshafte Völker, in denen Frauen das Sagen haben. Die Variante, dass die Männerhorden die Männchen ermorden, den Nachwuchs töten, die Frauen vergewaltigen, unterwerfen und selber mit ihnen sesshaft werden, liegt ziemlich nahe. Willkommen in der neueren Steinzeitforschung!

Es beginnt – wie immer – bei einer Frau. Die “Venus von Willendorf” ist ein Rätsel, eine umwerfend schön geformte Figur, angenehm fett und für ihre über 30.000 Jahre sehr gut erhalten. Sie wohnt in Wien, im Naturhistorischen Museum, ist viel kleiner als erwartet und hat mittlerweile viele Schwestern der europäischen Eiszeit. Sie war lange DIE Ikone der Kunstgeschichte und Archäologie. Sie wurde mal als pornografisches Objekt, mal als Muttergöttin, mal als Meisterin des Textilhandwerks gedeutet. Gebaut ist sie aus Sandstein vom Gardasee, entdeckt wurde sie 1908 von einem Bauarbeiter beim Bau der Donau-Uferbahn in der Wachau. Sie ist Ausgangspunkt neuer Geschichtsschreibung, die von Karin Bojs “Mütter Europas. Die letzten 43000 Jahre” sowie Lluis Quintana-Murci “Die grosse Odysee. Wie sich die Menschheit über die Erde verbreitet hat”, neu verhandelt wird.

Beide erzählen davon, wie sich die Migration der Urzeit bei Männern und Frauen völlig anders manifestiert und auswirkt. Ein Befund, den die Sprachwissenschaftlerin und Archäologin Marija Gimbutas (1921–1994) schon in den 1940er Jahren festhielt. Sie belegte mit den Artefakten und Sprachentwicklungen der Urzeit, ein “Alteuropa” mit matrilinearer Kultur und indogermanischen Migrationswellen, die eine stark patriarchale Kultur mit sich trugen. 2018, auf einer Tagung in Uppsala, entschuldigte sich der legendäre Colin Renfrew, Archäologe aus Cambridge – er war damals schon über achtzig Jahre alt – bei seinen Kollegen und leistete Marija Gimbutas Abbitte. “Certainly I was wrong”, meinte er bedauernd, aber in einer Größe, die den meisten Wissenschaftlern heutzutage leider abgeht.

Dass altertümliche Migration, matrifokale Kulturen und das daraus resultierende menschliche Mischmasch in der Archäologie ausgeblendet wurde, hatte zutiefst ideologische Gründe. Zunächst mochten die Nationalisten die Idee, dass ihre Kultur auf Migranten zurückgehe, überhaupt nicht. Dann wiederum verabscheuten postkoloniale Historiker die These der vergewaltigenden Männerhorden aus dem Osten. Weiter fanden “diverse” Historikerinnen, dass es in Europa nie matriarchale Kulturen gegeben haben könnte, diese seien natürlicherweise “indigenen” Stämmen vorbehalten.

Die Biologie spricht nun ein strenges Machtwort gegen diese Ideologien von links bis rechts. Gene pflegen nämlich nicht zu lügen. DNA-Analysen zeigen: Steinzeitfrauen haben andere Gene als Steinzeitmänner. Und die gefundenen Artefakte passen in diese unterschiedliche Frau-Mann-Schemata, die sich ausserdem als rituelle Unterschiede von Göttinnen-Kult und Phallus-Kult unterscheiden lassen.

Womit wir wieder bei der Venus von Willendorf wären. Nach neuerer Forschung ist sie deshalb alles andere als eine Pornovorlage für Steinzeitmänner. Sie passt zum Furchtbarkeitskult innerhalb matrilinearen Gemeinschaften, die von den indogermanischen Migrationsströmen überfallen, unterworfen und in patrifokale Gesellschaften umgebaut wurden. “Ein Teil der neuen Forschungsergebnisse deutet darauf hin, dass die indoeuropäische Einwanderungswelle tatsächlich eine Kultur mit sich brachte, die stark auf Väter und väterliche Linien ausgerichtet sind.” Die Klassikerinnen unter uns wussten dies schon längst. Denn der Mythos “Raub der Sabinerinnen” scheint viel der urzeitlichen Gesellschaftsformen zu erklären.

Genomik und Populationsgenetik beweisen nun die urmenschlichen Fabeln von Migration, Vergewaltigung und Unterwerfung in der Urzeit. Die Frage: “Woher kommen wir?” wird im Hinblick auf “Wohin gehen wir?” aber immer noch ideologisch verhandelt – Technik, Gene und Geschichtsschreibung hin oder her. Die Diversität der Genome erklärt uns nicht nur, welche Gene und daraus folgende Artefakte sich durchsetzen, sondern stellt uns Neuzeitler auch vor die Frage, welche Diversität und Artefakte wir als Menschen auch wollen. Gerade als Frauen, die in der Archäologie erstaunlicherweise noch so genannt werden dürfen, was für die Frauen in der Französischen Revolution nicht mehr gilt – die müssen jetzt ein Sternchen tragen, um überhaupt noch zitiert zu werden – also gerade als Frauen, kann es nicht egal sein, wer uns welche Artefakte zerstört, die Liebsten inklusive Nachwuchs ermordet, und eine neue patriarchale Linie beginnt, die jede matrifokale Kulturen, pardon, Horizonte ( so heißen Kulturen auf archäologisch)  auslöscht. Bisher haben Nazis, Ultranationalisten, Sowjetkommunisten, Maoisten, Islamisten, Hinduisten die Geschichte lange auf ihre Art und Weise zurechtgebogen, um ihre Männerbünde, Todesmystik und Klassenideologie für ewig gültig zu erklären. Jetzt sind es postmoderne Märchenerzählerinnen, die uns weismachen wollen, dass Kulturen mit Frauenfokus, “terfige” Werke seien, die die Rechte von steinzeitlichen Transmenschen diskriminieren.

Karin Bojs räumt mit “Mütter Europas. Die letzten 43.000 Jahre” flankiert vom Biologen Lluis Quintana-Murcis “Die grosse Odyssee”, mit all diesen vergangenen und zeitgenössischen Lügengebäuden auf. Beide erzählen von einer menschlichen Vielfalt, die sich sehr stark und mächtig, entlang der bestehenden Geschlechter und viel zu oft durch männliche Gewalt, durchmischt hat. Die Geschichte der Männer unterscheidet sich biologisch und kulturell massiv von der Geschichte der Frauen. Zumindest was das Urzeit der Menschheit betrifft.  Ideologisch zielen beide Bücher darauf hin, die Vielfalt als Fortschritt zu interpretieren, wobei Karin Bojs aber den Preis, den dabei die Urfrauen zu zahlen hatten, durchaus kritisch erwähnt.”

– Karin Bojs, Mütter Europas. Die letzten 43.000 Jahre.
– Lluis Quintana-Murci. Die grosse Odyssee. Wie sich die Menschheit über die Erde verbreitet hat.
Beide C.H. Beck Verlag

 

Bild: Graffiti in Florenz von Regula Stämpfli